Friedenskonferenz 2007 - Gegen die EU-Militarisierung

Thesen zu Legitimationsstrategien der Kriegstreiber und Handlungsmöglichkeiten der Friedensbewegung

 (Matthias Jochheim,IPPNW) 3/07

Unser Ziel muss sein, auf eine strukturell nichtangriffsfähige Gesellschaft hinzuarbeiten, auf der sozialen wie auf der mentalen Ebene. Eine Art Immunisierung gegen Kriegstreiberei.

Brzezinski, der frühere Sicherheitsberater von Jimmy Carter, schrieb(in: „Die einzige Weltmacht“): „Aber das Streben nach Macht wird kein Volk zu Begeisterungsstürmen hinreißen, außer in Situationen, in denen nach allgemeinem Empfinden das nationale Wohlergehen bedroht oder gefährdet ist. Die für eine solche Anstrengung erforderliche ökonomische Selbstbeschränkung (das heißt die Verteidigungsausgaben) und Aufopferungsbereitschaft (auch Verluste unter Berufssoldaten) passen nicht ins demokratische Empfinden. Die Staatsform Demokratie ist einer imperialen Mobilmachung abträglich“.**** Ende des Zitats. Man könnte ergänzen: unter anderem deshalb wächst die Versuchung für die Machteliten, die Staatsform Demokratie zum Zweck der Kriegsführung essenziell abzubauen, zu Gunsten von mehr Kontrolle und Repression.

I. Unsere Aufgabe als Kriegsgegner wird es also, allgemein gesprochen, sein, die konstruierten Feindbilder zu demontieren und die wirklichen Gefahren für das so genannte „nationale Wohlergehen“ klar zu benennen,. Ich glaube, es war Thomas Mann, der sagte: „Kriege werden aus Feigheit gegenüber den Aufgaben des Friedens begonnen“, und dies trifft auf die heutige Situation in besonderem Maße zu.

Feindbild Islam

Die westliche Vormacht führt einen von ihr selbst deklarierten permanenten „Krieg gegen den Terror“, von Irak bis zu den Philippinen. Deutschland und die EU sind dabei als Verbündete z.B. in Afghanistan beteiligt, die Bundesregierung hat zwar die Irak-Invasion abgelehnt, aber übernimmt in weiten Teilen die propagandistische Version der US-Regierung, wie aus folgendem Auszug einer Rede des damaligen deutschen Außenministers zu entnehmen ist:

„Ein neuer Totalitarismus, der islamistische Terrorismus und seine menschenverachtende Dschihad-Ideologie, bedroht Frieden und Stabilität regional wie global.

Sein Ziel ist der Umsturz der Machtverhältnisse in der islamisch-arabischen Welt, vor allem auf der arabischen Halbinsel und am Golf und die langfristige Zerstörung Israels. Seine Mittel sind Selbstmordattentate und der Schrecken brutaler, menschenverachtender Gewalt. Seine Taktik zielt auf ein blutiges Chaos, seine Strategie auf den Rückzug der USA und des Westens aus der gesamten Region.

Diese zentrale Bedrohung unserer Sicherheit geht gegenwärtig nicht von einem Staat aus, sondern vielmehr von einer neuen totalitären Bewegung, die nach dem Verlust Afghanistans keinen weiteren Staat mehr als Machtbasis kontrolliert.“ (Ende des Zitats)

Hier haben wir die wesentlichen Legitimationselemente des „Kriegs gegen den Terror“ versammelt.

Kein Wort dabei gegen den Angriffskrieg der USA, unterstützt von den NATO-Mächten, ihren offenen Anspruch auf militärische „full spectrum dominance“ weltweit, ihre Nichtachtung des internationalen Rechts und der UN.

Solche doppelten Standards sollen nun immer mehr hoffähig gemacht werden, siehe die Ehrenbürgerschaft für Biermann und die geplante Verleihung des Börne-Preises an Henrik Broder im Juni. (Zitat Broder aus: Hurra, wir kapitulieren! „Nur das es inzwischen nicht um Berliner Schüler mit ‚Migrationshintergrund’ geht, sondern um 1,5 Milliarden Moslems in aller Welt, die chronisch zum Beleidigtsein und unvorhersehbaren Reaktionen neigen…“)

Die psychopathologischen Mechanismen heißen: Spaltung (in „gut“ und „böse“), und projektive Identifikation, das bedeutet: eigene innere Anteile dem Gegenüber zuzuschreiben. Man denke hierbei nur an Bush’s Wort vom „Kreuzzug“ für den Krieg gegen denTerror: die Kreuzzüge waren bekanntlich nichts anderes als blutige Raub- und Mord-Züge des Abendlands gegen den Orient. .

Unsere Aufgabe demgegenüber besteht darin, die Rolle des kleinen Mädchens in Andersens subversivem Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ zu übernehmen. Also gegenüber den luftigen Propaganda-Hüllen zu rufen: „Aber sie haben ja gar nichts an!“

Positives Beispiel: In Spanien trat eine dramatische Zuspitzung im März 04 mit den Anschlägen auf die Bahnhöfe, den Lügen der Regierung Aznar und den unmittelbar anschließenden Wahlen ein. Die Wirksamkeit der Bewegungsaktionen, die die Regierungslügen von der ETA-Täterschaft rasch zum Platzen brachten, beruhte zu einem nicht geringen Teil auf der zuvor geleisteten „molekularen“ Arbeit, dem geduldig diskutierenden „Klein-Klein“, der Entwicklung stringenter, überzeugender Argumentationslinien. Die kontinuierliche politische Auseinandersetzung, selbst auch aus einer Position der scheinbaren Schwäche heraus, schafft die Voraussetzungen, dass wir bei erneuten Zuspitzungen und Wendepunkten (die mit Sicherheit zu erwarten sind) die nötige Kohärenz und Klarheit haben, nicht nur zu reagieren, sondern auch Ziele zu erreichen und durchzusetzen.

Bei der Zielsetzung, unsere Gesellschaft „strukturell nichtangriffsfähig“ zu machen müssen wir nicht bei Null anfangen, sondern können gerade in Deutschland auf eine erhebliche, auf historischen Erfahrungen beruhende Kriegsunlust aufbauen, die aber, siehe Jugoslawien und Afghanistan, noch nicht ausreicht zur konkreten Kriegsverhinderung, und durch geschickte und massive Demagogie jeweils unwirksam werden kann. Als aktuelles Beispiel für Kriegsgegnerschaft der Bevölkerung mag die FORSA-Umfrage dienen, nach der 77 % der deutschen Bevölkerung sich gegen den geplanten TORNADO-Einsatz in Afghanistan aussprechen.

Wir sollten verstärkt den Dialog mit arabischen wie auch anderen aus islamischen Ländern stammenden Mitbürgern suchen. Ein solcher Dialog kann und soll durchaus auch kritisch sein, aber er muss von der prinzipiellen Gleichheit unserer Rechte ausgehen, unabhängig von ethnischen und religiösen Zugehörigkeiten. Die „Würde des Menschen“ darf nicht nur eine Norm im Bereich des deutschen Grundgesetzes darstellen, sondern muss auch für die Bevölkerungen im arabisch-muslimischen Kulturkreis gegenüber den Demütigungen des Neo-Kolonialismus solidarisch geschützt werden.

Ein anderes, grundsätzliches Problem, das sich uns stellt, ist die Demokratie-Frage: wie können wir in der Zukunft nicht nur beim Thema Krieg und Frieden, erreichen, dass das Parlament die Mehrheitsmeinungen der Menschen tatsächlich widerspiegelt? Ein offensichtlich sehr tiefgreifendes Problem, das man auch als Demokratisierung der (bürgerlichen) Demokratie definieren könnte. Ein weites Feld, das ich als Thema nun an diese Runde zurückgeben möchte.

Letztes Update: 10.03.2007, 08:37 Uhr