Friedenskonferenz 2007 - Gegen die EU-Militarisierung

Manuskript für Arbeitsgruppe

von Rudi Friedrich

Ich bin Rudi Friedrich von Connection e.V. Der Verein arbeitet zur Unterstützung von Deserteuren und Kriegsdienstverweigerern aus Kriegsgebieten. In diesem Zusammenhang unterstützen wir auch die Selbstorganisation von Flüchtlingen z.B. aus Eritrea und Äthiopien und deren Asylgewährung. Viele der dort Aktiven berichteten uns ausführlich über ihre Fluchtgründe.

Dadurch ergibt sich ein sehr klares Bild: Die meisten flüchten aus ihrem Land, weil es dort bewaffnete Konflikte, Kriege, Diktaturen oder schlicht Armut gibt. Sie sind von Haft, Folter und Verfolgung bedroht oder sie sind ihrer Lebensgrundlagen entzogen. All das bedroht sie, so dass sie keinen anderen Ausweg mehr sehen, als aus dem Land zu fliehen. Gerne würden sie zurück gehen, aber die Situation lässt es nicht zu.

Die Ursachen dafür sind zum einen in den Ländern selbst zu suchen, aber es würde hier zu weit führen, darauf näher einzugehen (siehe www.Connection-eV.de). Aber die Situation ist auch eine Folge einer neoliberalen Weltwirtschaft, die Machtverhältnisse auf Kosten der jeweiligen Bevölkerung absichert. Gerade die Länder in Afrika bleiben so in einer Armutsfalle. Unter den 34 ärmsten Ländern liegen 30 in Afrika.

Grund ist auch die Unterstützung diktatorischer Regime, wie dies im Falle Äthiopiens durch die USA gerade geschieht – z.B. im Namen des "Krieges gegen den Terror".

Tausende sterben an den Außengrenzen der Europäischen Union (EU), wenn sie zum Beispiel versuchen, auf untauglichen Fischerbooten von Afrika nach Spanien oder auf die spanischen Inseln überzusetzen. Viele vegetieren in Flüchtlingslagern in den angrenzenden Ländern. Das UNHCR sagt, dass 80% der weltweit 12 Millionen Flüchtlinge unter zumeist katastrophalen Bedingungen in Flüchtlingslagern der jeweiligen Region leben müssen. Nur wenige schaffen die Flucht bis nach Deutschland, aus Eritrea sind es gerade mal ein paar Hundert von mehreren Tausend Flüchtlingen pro Jahr.

Die Abschottung der EU-Außengrenzen wird ergänzt durch ein System von Rückführungsabkommen mit nordafrikanischen Staaten, so z.B. mit dem Senegal, Algerien, Tunesien, Marokko oder Libyen. Das bedeutet, dass Flüchtlinge, die über diese Länder in die EU einzureisen versuchen, in diese Länder zurückgeschoben werden und ihnen damit das Recht genommen wird, die Genfer Flüchtlingskonvention in der EU in Anspruch zu nehmen.

Die sich heute so darstellende Situation zeichnete sich schon länger ab. Das erste Mal wurde dies als Konzept während des Krieges um den Kosovo 1999 umgesetzt. Eine humanitär begründete Militärintervention der NATO wurde damals flüchtlingspolitisch flankiert mit dem System der "Regionalisierung" und einem politischen Schutzkonzept – dem sogenannten "vorübergehenden Schutz". Zunächst versuchten insbesondere die EU-Staaten, Flüchtlinge in der Region zu halten. Die "heimatnahe Unterbringung der Vertriebenen", wie es der damalige Innenminister Schily formulierte, bedeutete für sie, nur in den unmittelbaren Nachbarstaaten Mazedonien und Albanien in Flüchtlingslagern aufgenommen werden zu können. Die Lager waren zum großen Teil von NATO-Truppen aufgebaut worden. Flankiert wurde dieser Ansatz durch Maßnahmen, die die Weiterreise von Flüchtlingen unmöglich machen sollten: schärfere Kontrolle der Grenzen, temporäre Aussetzung von Visaerteilungen und anderes mehr. Diese Form der Regionalisierung führte zur nahezu völligen Destabilisierung der Nachbarstaaten Albanien und Mazedonien. Erst nach dramatischen Appellen des UNHCR begann die EU, Flüchtlinge zu evakuieren. Die Aufnahmeländer entschieden nach politischem Ermessen, wie viele Flüchtlinge sie für wie lange aufnahmen – insgesamt waren es knapp 80.000. Diese Schutzsuchenden erhielten in den meisten europäischen Ländern keinen asylrechtlichen Schutz, sondern lediglich einen zeitlich befristeten Schutz minderer Qualität. Dreh- und Angelpunkt dieses politischen Schutzkonzeptes ist die Ersetzung der in der Genfer Flüchtlingskonvention niedergelegten individuellen Rechte durch das Ermessen des Aufnahmelandes.

Dieses Konzept wurde in den nachfolgenden Jahren auch in anderen Fällen eingesetzt, so beim Krieg gegen Afghanistan und dem Krieg gegen den Irak. Es fand sich schließlich auch in militärstrategischen Überlegungen wieder, so in den am 21. Mai 2003 vorgelegten Verteidigungspolitischen Richtlinien: "Ungelöste politische, ethnische, religiöse, wirtschaftliche und gesellschaftliche Konflikte wirken sich im Verbund mit dem internationalen Terrorismus, mit der international operierenden Organisierten Kriminalität und den zunehmenden Migrationsbewegungen unmittelbar auf die deutsche und europäische Sicherheit aus. Ihnen kann nur durch ein umfassendes Sicherheitskonzept und mit einem System globaler kollektiver Sicherheit begegnet werden." Mit diese Assoziationskette werden Flüchtlinge und MigrantInnen zu einer Bedrohung erklärt, gegen die im Zweifelsfall militärisch vorzugehen ist.

Nicht überall wurde dazu tatsächlich Militär eingesetzt, wie dies Österreich während der Kriege im ehemaligen Jugoslawien tat oder wie es in Mittelmeer geschieht: "Als eine der ersten militärischen Reaktionen auf die Terroranschläge 2001 in New York wurde die STANAV-FORMED, die im Mittelmeer bereitstehenden NATO-Marinekräfte für die bereits am 26.10.2001 beginnende und bis heute kaum beachtete NATO-Mission Active Endeavour mobilisiert. Offizieller Auftrag ist der 'Kampf gegen den Terror' auf der Grundlage des Bündnisfalls nach Artikel 5 des NATO-Vertrages. Faktisch geht es jedoch um die Kontrolle der zivilen Schifffahrt im Mittelmeer, Schwerpunkte sind das östliche Mittelmeer und, seit März 2003, die Straße von Gibraltar, geleitet wird der Einsatz vom NATO-Flotten-Hauptquartier in Neapel aus." (Christoph Marischka: G8 und Migration; IMI 2007)

Vor allem werden die Grenz- und Bundespolizeien massiv aufgerüstet, um Flüchtlinge abzuwehren. So wurde die Guardia Civil in Spanien in den letzten 15 Jahren stark erweitert, mit Booten mit militärischer Bewaffnung, mit Helikoptern, Flugzeugen, so dass sie inzwischen über alle drei Waffengattungen regulärer Armeen verfügt (dito).

Dabei gibt es eine intensive Zusammenarbeit mit einigen Staaten in Nordafrika, wie z.B. Libyen, Ägypten oder Marokko. In Mauretanien baute die spanische Armee das erste Flüchtlingslager auf, um Abschiebungen von Spanien aus zu ermöglichen. Direkt oder indirekt finanzieren die EU oder einzelne Mitgliedstaaten weitere Lager in den angrenzenden Staaten der EU.

Koordiniert wird dies EU-weit inzwischen in der Europäischen Grenzschutzagentur FRONTEX, für die auch Deutschland Equipment zur Verfügung stellt: vier Hubschrauber, ein Schiff, Wärmebildgeräte, Personal usw. Ergänzt werden diese Maßnahmen durch das Schengen-Informationssystem über Personen, die gesucht werden oder deren Einreise unerwünscht ist sowie die zentrale Datei über alle Visaerteilungen und Behördenkontakte von Nicht-EU-Bürgern, EURODAC.

Es lässt sich somit festhalten: Es gibt eine zunehmende Militarisierung der Flüchtlingsabwehr, die weit über das eigentliche Militär hinausgeht. In diese Politik werden auch nichtstaatliche Organisationen in der Weise eingebunden, dass sie beispielsweise die Flüchtlingsbetreuung in Lagern übernehmen, die durch das Militär aufgebaut oder kontrolliert werden.

Ein weiterer wichtiger Aspekt dieser Politik ist die damit verbundene Entrechtung von MigrantInnen. Repressive Maßnahmen im Innern, minimale Anerkennungsquoten von Flüchtlingen und drohende Abschiebungen sorgen dafür, dass ein großer Teil der MigrantInnen illegalisiert wird und daher rechtlos ist. Sie sind prekären Arbeits- und Wohnverhältnissen mit der ständigen Gefahr der Abschiebung ausgesetzt.

Zum Schluss will ich noch eine Anregung geben: Die Auseinandersetzung mit jeder einzelnen Fluchtgeschichte, wie sie uns z.B. von den Aktiven der Eritreischen Antimilitarischen Initiative oder der initiative der äthiopischen KriegsgegnerInnen berichtet wird, schafft einen wesentlichen Baustein, um gegen diese Politik zu arbeiten: Öffentlichkeit. Jeder einzelne Fall weist auf die Ursachen für Konflikte, Kriege und Armut hin und dokumentiert, wie es an den Außengrenzen der EU wirklich aussieht.

Letztes Update: 19.03.2007, 08:16 Uhr