Friedenskonferenz 2007 - Gegen die EU-Militarisierung

Text zu Arbeitsgruppe IV. Struktur der Militarisierung
(Fr. 2.3. 9-10.30 Uhr)

Der Autor wird dort über "Rekrutierung von Menschen für den Krieg und mögliche Gegenstrategien" sprechen.

Kriegsdienstverweigerung in der EU

 

Erschienen in: Wissenschaft und Frieden 23. Jg., Nr. 2 (April 2004)  S. 43-46http://www.iwif.de

Kriegsdienstverweigerung in der Europäischen Union und in den Beitrittsländern

von Gernot Lennert

Der vorliegende Beitrag verdeutlicht die Unterschiedlichkeit bis Gegensätzlichkeit der Handhabung von Kriegsdienstverweigerung in den (zukünftigen) Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Die Rede von der europäischen Wertegemeinschaft ist diesbezüglich wenig mehr als eine Leerformel. Allerdings scheint der Integrationsprozess zu einer zunehmenden Anerkennung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung beizutragen. Ernüchternd wirkt dagegen, dass der noch zur Annahme ausstehende EU-Verfassungsentwurf keine einheitliche Regelung im Sinne dieses Rechtes vorsieht, sondern auch die repressivste einzelstaatliche Behandlung von Kriegsdientsverweigerern deckt. Red.

Bis 1990 war Europa bezüglich Militärdienstpflicht klar eingeteilt. Auf der einen Seite standen die Staaten mit angelsächsischer politischer Kultur, Großbritannien und Irland. Das Vereinigte Königreich hatte die im 2. Weltkrieg eingeführte Dienstpflicht 1960 abgeschafft, in Irland und Nordirland hatte sie nie bestanden. In dieser politischen Tradition wird der Zwang zum Militärdienst als ein schwerwiegender Eingriff in die Freiheit des Individuums betrachtet, der nur im Notfall gerechtfertigt werden kann. Der Zwangsdienst gilt nicht als positiver Wert an sich. Im Hintergrund steht der Gedanke, dass der Staat seine Ansprüche an das Individuum rechtfertigen muss.

In Kontinentaleuropa waren 1989 nur Klein- und Kleinststaaten sowie Gebiete mit Sonderstatus wie West-Berlin frei von jeglichem Kriegsdienstzwang. In der vorherrschenden kontinentaleuropäischen Denktradition galt die Erfüllung der Wehrpflicht als selbstverständliche Pflicht des Staatsbürgers, unabhängig von militärischen Erfordernissen. In diesem Denken ist das Militär die Schule der Nation, das Individuum schuldet dem Staat oder dem Kollektiv einen Dienst. Diese kollektivistische Dienstideologie zeigt sich in einer älteren militärischen und in einer jüngeren zivilen Variante. In der zivilen Variante kann der Militärdienst kritisch gesehen werden, nicht aber der Zwang zum Dienst. Zwangsdienste erscheinen in diesem Weltbild als etwas Nützliches und Erstrebenswertes, als pädagogisch wertvoll.

Kriegsdienstverweigerern war bis Ende der 1980er Jahre in den nicht-kommunistischen Staaten Europas mit Dienstpflicht die Möglichkeit der Militärdienstverweigerung eingeräumt worden, verbunden mit Ableistung eines Ersatzdienstes, mit Ausnahme der Schweiz, Griechenlands, der Türkei und auch Zyperns, die ebenso wie die marxistisch-leninistischen Diktaturen keine legale Militärdienstverweigerung kannten. Es ergab sich ein West-Ost-Gefälle: keine Dienstpflicht an der westlichen Peripherie, in Westeuropa Kriegsdienstpflicht und Ersatzdienste für Verweigerer, im Osten Zwang ohne legale Militärdienstverweigerung.

Aussetzung und Abschaffung des Kriegsdienstzwangs

200 Jahre nach Einführung der modernen Wehrpflicht in der Französischen Revolution entschlossen sich mehrere Staaten Europas, sie auszusetzen oder abzuschaffen. In Belgien werden seit 1995, in den Niederlanden seit 1997 keine Wehrpflichtigen mehr einberufen, mit Ausnahme der Niederländischen Antillen, wo die Dienstpflicht nicht ausgesetzt wurde. 2002 fand die Wehrpflicht sogar in ihrem Mutterland Frankreich sowie in Spanien ihr Ende. In Slowenien war schon für Oktober 2003 keine Einberufung von Wehrpflichtigen mehr vorgesehen. Weitere Staaten sind dabei, den Kriegsdienstzwang abzuschaffen oder auszusetzen: Portugal bis Ende 2004, Italien ab Anfang 2005, die Slowakei und Ungarn 2006, Tschechien bis Ende 2006.

Aussetzung bedeutet, dass die Einberufungen jederzeit wieder aufgenommen werden können. In den Niederlanden unterliegen alle Wehrpflichtigen nach wie vor der Militärerfassung. In Frankreich demonstriert der Staat seinen Rekrutierungsanspruch mit einer eintägigen vom Militär durchgeführten Pflichtveranstaltung namens Journée d'appel de préparation à la défense für alle Jugendlichen beiderlei Geschlechts zwischen 16 und 18 Jahren. Wer die Teilnahme verweigert, wird von staatlichen Prüfungen, sei es in Bildungseinrichtungen, sei es die Führerscheinprüfung, ausgeschlossen.

Der Militärdienstzwang wurde und wird wegen der militärstrategisch gebotenen Umstrukturierung, Modernisierung und Verkleinerung der Streitkräfte aufgegeben; Wehrpflichtige sind verzichtbar geworden. Lediglich der spanische Staat sah sich mit einer breiten antimilitaristische Kampagne für die Abschaffung des Kriegsdienstzwangs konfrontiert, deren sichtbarster Ausdruck Tausende von inhaftierten totalen Kriegsdienstverweigerer waren.

Festhalten am der Militärdienstpflicht

Die nordischen Staaten sowie die Staaten am östlichen Rand der zukünftigen EU von Finnland bis Zypern halten am Kriegsdienstzwang fest. Die Abschaffung der Zwangsdienste wird in Deutschland und Österreich diskutiert.

In Deutschland, Dänemark und Schweden gibt es ein Recht auf Militärdienstverweigerung mit der Pflicht zur Ableistung eines Ersatzdienstes. Die Gewissensprüfung wird mittlerweile liberal gehandhabt oder entfällt. Die bloße Anerkennung ist unproblematischer geworden. Deutschland hat im November 2003 die Gewissensprüfungsausschüsse der Bundeswehr abgeschafft, alle Anträge werden seitdem in einem schriftlichen Verfahren vom Bundesamt für Zivildienst behandelt. Wegen begrenzter Kapazitäten der Bundeswehr und im Zivildienst sind die Chancen, beide Zwangsdienste zu umgehen, größer geworden. Nach wie vor strafrechtlich verfolgt werden totale Kriegsdienstverweigerer.

Die Bedingungen in Österreich, Finnland und Polen liegen deutlich unter den Standards, die in Westeuropa üblich geworden sind. In Österreich bemüht sich der Staat, den Zivildienst möglichst unattraktiv zu machen. Er wurde in den 1990er Jahren dreimal verlängert, von ursprünglich acht auf zwölf Monate. Anträge auf Verweigerung dürfen nur innerhalb eines kurzen Zeitraums von wenigen Wochen nach der Musterung gestellt werden. Ab 2000 wurden die Zivildiener materiell drastisch schlechter gestellt, was zu massenhaften Protesten geführt hat. In Finnland ist zwar die Anerkennung als Militärdienstverweigerer einfach, doch pro Jahr werden etwa 60 totale Kriegsdienstverweigerer in der Regel für 197 Tage inhaftiert.  Viele protestieren damit gegen die unzumutbare Gestaltung des Zivildienstes, andere gegen jeden Kriegs- und Zwangsdienst. Der Zivildienst dauert entgegen Empfehlungen internationaler Organisationen doppelt so lange wie der Militärdienst. Den Dienstleistenden werden ihnen gesetzlich zustehende Leistungen wie kostenlose Unterkunft vorenthalten. Amnesty international erkennt finnische Totalverweigerer als Gewissensgefangene an. Die Militärdienstverweigerung gilt wie auch in Polen nur in Friedenszeiten.

In den baltischen Staatenist das Recht auf Militärdienstverweigerung seit 1991 anerkannt, wobei Estland entsprechend den Maßgaben des Europarats einen Ersatzdienst von der Länge des Militärdienstes eingeführt hat, während Lettland 2002 einen Ersatzdienst von doppelter Länge beschlossen hat. Im Baltikum kann die Dienstpflicht wegen geringer Einberufungsquoten leicht umgangen werden.

In Rumänien, Bulgarien, Griechenland und Zypern gibt es in der Praxis kein Recht auf Militärdienstverweigerung. Entsprechende Bestimmungen sind wertlos, wegen mangelnder Ausführungsbestimmungen oder weil sie wie in Rumänien nur für Angehörige militärdienstablehnender religiöser Gemeinschaften gelten. Griechenland bestraft Verweigerer mit einem 30-monatigen Ersatzdienst, der damit 12 bis 18 Monate länger als der Militärdienst dauert, heimatfern stattfinden muss und in dem sie mit feindseliger Behandlung rechnen müssen. Verweigerer werden häufig über Jahre hinweg mit Einberufungen, Prozessen, Inhaftierungen, Aberkennung ihres Verweigererstatus und dergleichen überhäuft. Lazaros Petromelidis wird schon seit 1992 juristisch verfolgt.

Es gibt nach wie vor das West-Ost-Gefälle, aber die Gruppe der Länder ohne Militärdienstpflicht wird 2007 tief nach Ostmitteleuropa reichen, Militärdienstverweigerung ist in Ländern Osteuropas möglich.

Internationale Standards

Dass osteuropäische Staaten die Militärdienstverweigerung mehr oder weniger akzeptieren, ist wesentlich internationalen Organisationen zu verdanken, vor allem dem Europarat, aber auch der OSZE und der Europäischen Union, namentlich dem Europäischen Parlament.

Das Recht auf Militärdienstverweigerung aus Gewissensgründen ist nicht in den grundlegenden Menschenrechtsdeklarationen der Vereinten Nationen und des Europarats enthalten, wird allerdings aus dem in Artikel 18 der Allgemeinen Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen niedergelegten Recht auf Gedanken-, Religions- und Gewissensfreiheit und ähnlichen Bestimmungen anderer Menschenrechtskonventionen abgeleitet. Die UN-Menschenrechtskommission, das Europäische Parlament, der Europarat sowie KSZE/OSZE haben in Resolutionen und Empfehlungen das Recht auf Militärdienstverweigerung aus Gewissensgründen befürwortet.

Der Druck internationaler Organisationen ist wirksam, wegen des Interesses an Aufnahme in die EU und in andere euro-atlantische Strukturen streben und dank der Bereitschaft, sich den geforderten Standards anzupassen. Das Europäische Parlament begründet sein Engagement damit, dass stark variierende Bestimmungen unter den Mitgliedsstaaten “ein Hemmnis für den Prozeß der europäischen Integration im Hinblick auf die jungen Menschen”  darstellten.
Die UN-Menschenrechtskommission, der Europarat sowie das Europäische Parlament bekennen sich dazu, “dass Personen, die aus Gewissensgründen den Militärdienst verweigern, die Möglichkeit zur Ableistung eines Ersatzdienstes geboten wird.”  Dazu gehören die ausreichende Information der Betroffenen sowie das Recht, jederzeit, also auch während des Militärdienstes, einen Antrag auf Verweigerung zu stellen. Der Ersatzdienst soll in rein zivilem Rahmen stattfinden, seine Dauer soll angemessen sein und nicht als Strafe angesehen werden. Das Anerkennungsverfahren soll fair sein. Zahlreiche Mitglieder von EU, Europarat und OSZE erfüllen die genannten Anforderungen nicht.

Kriegsdienstverweigerer sind am wirksamsten geschützt, wenn sie erst gar nicht mit Zwangsrekrutierung konfrontiert werden. Doch so weit geht der Europarat nicht. Artikel 4 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten des Europarats von 1950 sagt deutlich: “(1) Niemand darf in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden. (2) Niemand darf gezwungen werden, Zwangs- oder Pflichtarbeit zu verrichten. (3) Als ‚Zwangs- und Pflichtarbeit’ im Sinne dieses Artikels gilt nicht... b) jede Dienstleistung militärischen Charakters, oder im Falle der Verweigerung aus Gewissensgrün­den ...  eine sonstige anstelle der militärischen  Dienstpflicht tretende Dienstleistung.”
Die Staaten haben sich also abgesichert: Sklaverei, Leibeigenschaft und Zwangsarbeit sind verbo­ten, aber nicht wenn es um Krieg und Militär geht. Der Europarat und die anderen genannten Organisationen bewegen sich innerhalb dieser Logik.

Der im Jahr 2003 vorgestellte Entwurf für eine Verfassung der EU befasst sich zwar ausführlich mit der gemeinsamen EU-Militärpolitik, doch eine EU-weite Regelung der Kriegsdienstverweigerung ist nicht vorgesehen. In Artikel II-10 (2) heißt es: “Das Recht auf Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen wird nach den einzelstaatlichen Gesetzen anerkannt, welche die Ausübung dieses Rechts regeln.”  Das bedeutet, dass selbst die repressivste einzelstaatliche Behandlung von Kriegsdienstverweigerern gedeckt wird. Der Verfassungskonvent fiel damit hinter die Resolutionen des Europäischen Parlaments zurück.

Verweigerung von Militärangehörigen und situationsbedingte Verweigerung
Unabhängig vom Vorhandensein einer Dienstpflicht stellt sich die Frage nach der Verweigerung von Berufssoldaten und -soldatinnen. Die Regeln sind sehr uneinheitlich. In Deutschland ist die Antragstellung jederzeit möglich, seit November 2003 wird die Gewissensprüfung nicht mehr von den Prüfungsgremien der Bundeswehr vorgenommen. In Frankreich, Österreich und Spanien ist die Verweigerung von Militärangehörigen nicht vorgesehen. In Großbritannien gibt es eine Vorschrift der Armee, die aber nicht veröffentlicht werden darf, die entsprechenden Vorschriften von Marine und Luftwaffe sind ganz unbekannt. Hinzu kommt die Problematik von Minderjährigen, die mit 16 Jahren ins Militär eintreten und denen es schwer gemacht wird, es wieder vorzeitig zu verlassen.

Von Verweigerern wird gewöhnlich verlangt, Krieg und Gewalt grundsätzlich abzulehnen. Situationsbedingte oder selektive Verweigerung, wie die Weigerung israelischer Soldaten, in den besetzten Gebieten Dienst zu leisten, wird gesetzlich nicht akzeptiert. Dies hat historische Gründe und liegt im Interesse von Staat und Militär. Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung begann als Ausnahmeprivileg für religiöse Sektierer, die aufgrund ihrer prinzipiell gewaltfreien Haltung fürs Militär unbrauchbar waren. Auch heutige säkulare Verweigerer müssen sich mehr oder weniger an diesem Muster orientieren, wenn sie anerkannt werden wollen. Verweigern darf nur, wer nicht töten kann, also charakterlich für den Militärdienst auf jeden Fall untauglich ist, aber nicht der, der zwar könnte, wenn er wollte, aber nicht will.

Soldaten sollen Befehlen gehorchen, sie nicht in Frage stellen. Die Möglichkeit der selektiven Verweigerung würde jedoch die Zuverlässigkeit der Militärmaschinerie gefährden. Da EU-Staaten immer häufiger völkerrechtswidrig Krieg führen, liegt es nahe, eine Möglichkeit der Verweigerung solcher Einsätze zu fordern. Doch schon jetzt sind Soldaten an Völkerrecht und Kriegsvölkerrecht gebunden. Ein Staat, der illegal Krieg führt, wird dies selbst kaum zugeben. Deshalb ist es wahrscheinlicher, dass situationsbedingte Kriegsdienstverweigerung von außen anerkannt wird. Beispiele sind die Empfehlungen der UN, denjenigen Aufnahme zu gewähren, die sich den Apartheid-Streitkräften verweigerten, die Resolutionen des Europäischen Parlaments zugunsten von Verweigerern und Deserteuren aus den jugoslawischen Auflösungskriegen sowie die den post-jugoslawischen Staaten auferlegten Amnestien für Deserteure.

Denkbar ist die Anerkennung situationsbedingter Verweigerung am ehesten im Nachhinein bei veränderten politischen Kräfteverhältnissen oder im Asylrecht. Bezüglich des Rechts auf Zwangsrekrutierung sind die Regierungen untereinander solidarisch, aber in bestimmten Situationen können sie für bestimmte Verweigerer eine Ausnahme machen.

Kriegsdienstverweigerung: Menschenrecht oder Ausnahmerecht?

Kriegsdienstverweigerer werden so lange verfolgt werden, solange die Kriegsdienstverweigerung nicht als Menschenrecht, sondern als Ausnahmerecht begriffen wird. Viele, die vom Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung reden, meinen oft nur ein Ausnahmerecht, wie z.B. amnesty international: “amnesty international betrachtet alle, die aus Überzeugung nicht zur Waffe greifen wollen, als Wehrdienstverweigerer. ... Dabei stellt die Organisation das Recht von Staaten, Soldaten einzuberufen, nicht in Frage. Doch niemand sollte gegen seine Überzeugung zum Militärdienst gezwungen oder für seine Verweigerung in irgendeiner Form bestraft werden.”  Der staatliche Zwangsrekrutierungsanspruch, die Wurzel des Problems, wird also nicht in Frage gestellt, sondern verinnerlicht. Konsequenterweise bekennt sich ai zur Gewissensprüfung, sei es eine staatliche, sei es die Beurteilung durch ai. Erwähnenswert ist auch, dass ai weder Gewissensprüfungen noch den Zwang zum Ersatzdienst als Problem ansieht, wenn sie bestimmten Kriterien entsprechen.

Solange das Recht auf Kriegsdienstverweigerung von der Gewissensfreiheit abgeleitet wird, bleibt es ein Ausnahmerecht für Menschen mit einer bestimmten Motivation oder einem bestimmten Persönlichkeitsbild, kein Menschenrecht für alle. Die Inanspruchnahme eines Menschenrechts auf einen bestimmten Personenkreis einzuschränken, abhängig von staatlicher Genehmigung sowie der Ableistung eines staatlichen Zwangsdienstes, ist ein Widerspruch in sich.

Die Rekrutierung für Kriegsdienst ist oft gleichbedeutend mit einem Todesurteil, nicht nur in Kriegszeiten, von Freiheitsberaubung und Aufhebung anderer Grundrechte einmal ganz abgesehen. Zwangsrekrutierte werden gegen ihren Willen zu Kombattanten gemacht und können im Krieg vom gegnerischen Militär legal getötet oder verstümmelt werden. Die Rechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit werden durch die Zwangsrekrutierung aufgehoben. Ausgehend davon, dass jeder Mensch ein Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit und persönliche Freiheit hat, müsste Zwangsrekrutierung zum Kriegsdienst ebenso verworfen werden wie die von amnesty international und Europarat abgelehnte Todesstrafe.

Ausblick

Die osteuropäischen Staaten durchlaufen bezüglich Kriegsdienstverweigerung zeitversetzt ähnliche Entwicklungsstufen wie zuvor westeuropäische Länder, beschleunigt durch den Anpassungsdruck von Europarat und EU. Im Osten Europas zeigt sich ebenso wie in der Geschichte Westeuropas ein Nord-Süd-Unterschied, der mit dem religiösen Hintergrund korreliert. In den protestantischen Ländern Nordwesteuropas war schon im 1. Weltkrieg und in den 20er und 30er Jahren danach die Militärdienstverweigerung aus Gewissensgründen ermöglicht worden; katholische Staaten folgten erst widerstrebend in den 1960er und 1970er Jahren. Die protestantischen Ostseeländer haben die Idee der Kriegsdienstverweigerung akzeptiert, die orthodox geprägten Staaten und Gesellschaften im Südosten stehen ihr am feindseligsten gegenüber. Nationalismus und Militarismus sind dort starke ideologische Stützen der Militärdienstpflicht. Die NATO drängt ihre Mitglieder und Kooperationspartner zur Anpassung an die modernen Militärstrukturen des Bündnisses. Resultiert dieser Modernisierungsdruck in der Abschaffung der Dienstpflicht, schafft das für Kriegsdienstverweigerer einen besseren Schutz als Verweigerungsgesetze, die Kriegsdienstverweigerern Gewissensprüfungen und Zwangsdienst auferlegen.

In Mitteleuropa könnte aus militärstrategischen und volkswirtschaftlichen Erwägungen und aufgrund gesellschaftlicher Entwicklungen der Kriegsdienstzwang bald weichen. Dem stehen in Deutschland noch ideologische Hindernisse entgegen. Hier geht es nicht nur um die Militärdienstpflicht, sondern um die quer durch die politischen Lager von ganz rechts bis ganz links tief verankerte hohe Wertschätzung ziviler Zwangsdienste. Solange sich die neutralen Staaten Finnland, Schweden und Österreich noch am Konzept einer allgemeinen Volksbewaffnung mit kleinen aktiven Streitkräften mit zahlreichen Reservisten orientieren, werden sie an der Kriegsdienstpflicht festhalten.

Letztes Update: 24.02.2007, 20:30 Uhr