Friedenskonferenz 2007 - Gegen die EU-Militarisierung

Text zu Arbeitsgruppe IV. Struktur der Militarisierung
(Fr. 2.3. 9.00 Uhr -10.30 Uhr)

Der Autor wird dort über Handlungsansätze in der „Kooperation für den Frieden“ sprechen.

Handlungsansätze in der „Kooperation für den Frieden“

von Matthias Jochheim

Strategie ist laut Lexikon „die Kunst und Lehre, das eigene Machtpotential so auszuschöpfen und einzusetzen, dass dem Feind der eigene Wille aufgezwungen werden kann.“ Als Friedensfreunde würden wir den Begriff „Feind“ lieber durch den versöhnlicheren „Kontrahenten“ ersetzen, sollten aber auch anerkennen, dass es solche Widersacher in Gestalt einer gewaltbereiten wirtschaftlich-politisch-militärischen Machtelite tatsächlich gibt. Soweit wir diese Kontrahenten nicht durch die Klugheit unserer Argumente von Kriegen und deren Vorbereitung abhalten können, müssen wir danach streben, ihnen die dazu nötige Fähigkeit zu entziehen, bzw. wenigstens zu schmälern.
Unser Ziel muß sein, auf eine strukturell nichtangriffsfähige Gesellschaft hinzuarbeiten, auf der sozialen wie auf der mentalen Ebene. Eine Art Immunisierung gegen Kriegstreiberei. Als Beispiel: die Reaktion der spanischen Öffentlichkeit auf die Ereignisse des 11.März 04 und der folgenden Tage.

Strategiebildung ist auf Ortsbestimmung angewiesen: in welcher Situation befinden wir uns, welche Kräfte wirken gegen unsere Intentionen, welche können von uns eingesetzt, genutzt und unterstützt werden? Wie ist das vorläufige Ergebnis unserer bisherigen Anstrengungen, welche Schlüsse sind aus dieser Bewertung zu ziehen?

Strategiebildung bedeutet, die Fähigkeit zu einer Gesamtschau zu entwickeln, den Zusammenhang der jeweils einzelnen Felder der gesellschaftlichen Auseinandersetzung wahrzunehmen, und die Vielfalt eigener Impulse und Initiativen zu einem kohärenten Ganzen zusammenzuführen, um damit eine sinnvolle Verteilung und das optimale Zusammenwirken der eigenen Kräfte zu ermöglichen.

Strategisch denken und planen müssen wir in zwei Richtungen: wie können wir die kriegerischen Unternehmungen und Pläne unserer Kontrahenten verhindern, also adäquaten Widerstand dagegen mobilisieren, und wie können wir Gegenmodelle aufbauen, also unsere grundsätzliche Alternative entwickeln; Stichwort: Kultur des Friedens.

Soweit die allgemeinen Vorbemerkungen. Nun also: wo stehen wir mit unserem Willen, „Krieg als Mittel der Politik zu ächten“, dem umfassendsten unserer Globalziele, von dessen Erreichen oder zumindest einer Annäherung m.E. auch abhängen wird, ob wir „einen Atomkrieg verhindern und die atomare Abrüstung vorantreiben“ können. Aktuell ist zu konstatieren: die westliche Vormacht führt einen von ihr selbst deklarierten permanenten „Krieg gegen den Terror“, von Irak bis zu den Philippinen. Deutschland ist dabei als Verbündeter z.B in Afghanistan beteiligt, hat zwar die Irak-Invasion abgelehnt, aber übernimmt in weiten Teilen die propagandistische Version der US-Regierung, wie aus folgendem Auszug einer Rede des deutschen Aussenministers zu entnehmen ist:
„Ein neuer Totalitarismus, der islamistische Terrorismus und seine menschenverachtende Dschihad-Ideologie, bedroht Frieden und Stabilität regional wie global.
Sein Ziel ist der Umsturz der Machtverhältnisse in der islamisch-arabischen Welt, vor allem auf der arabischen Halbinsel und am Golf und die langfristige Zerstörung Israels. Seine Mittel sind Selbstmordattentate und der Schrecken brutaler, menschenverachtender Gewalt. Seine Taktik zielt auf ein blutiges Chaos, seine Strategie auf den Rückzug der USA und des Westens aus der gesamten Region.
Diese zentrale Bedrohung unserer Sicherheit geht gegenwärtig nicht von einem Staat aus, sondern vielmehr von einer neuen totalitären Bewegung, die nach dem Verlust Afghanistans keinen weiteren Staat mehr als Machtbasis kontrolliert.“
Hier haben wir die wesentlichen Legitimationselemente des „Kriegs gegen den Terror“ versammelt.
Kein Wort dabei gegen den Angriffskrieg der USA, ihren offenen Anspruch auf militärische „full spectrum dominance“ weltweit, ihre Nichtachtung des internationalen Rechts und der UN. Es soll nicht negiert werden, dass Fischers Rede (an der Princeton University am 19.11.2003) auch Passagen enthält, die implizit als divergierend zur US-Politik interpretiert werden können; im Kontext der laufenden Militäroperationen, der EU-Aufrüstungspolitik und der in Deutschland betriebenen „Enttabuisierung des Militärischen“ (Zitat Kanzler Schröder) ist es aber zweifelsfrei, dass die EU sich nicht als Friedensmacht, sondern als teils kooperierender, teils konkurrierender Partner der westlich-imperialen Kriegspolitik weiterentwickeln soll. Es verwundert deshalb auch wenig, dass von Schröder/Fischer kein Wort gegen die neue Runde nuklearer Aufrüstung der USA zu hören ist.

Wir müssen es illusionslos betrachten: die Regierungspolitik nicht nur in Deutschland präsentiert für Kriegsgegner düstere Perspektiven. Wir müssen mit weiteren dramatischen Zuspitzungen von Kriegsereignissen weltweit rechnen, denn es gibt mächtige Interessen besonders auch in unserer nord-westlichen Welt, die sich davon Vorteile versprechen.

Aber es gibt auch kriegsfeindliche Gegenkräfte: starke Bewegungen in Europa und auch in den USA, die aktuell oder potenziell in den jeweiligen Bevölkerungen mehrheitsfähig sind. Die Zustimmung zum Krieg ist, wo überhaupt vorhanden, instabil, und muß jeweils durch Terror-Drohungen gefördert werden. Die ökonomische Krise erhöht auf der einen Seite, so muß befürchtet werden, die Bereitschaft der Machteliten, militärische Auswege und Ablenkungsmanöver von der inneren Malaise zu suchen, erhöht aber auch die Distanz und die Unzufriedenheit der gesellschaftlichen Basis gegenüber Regierung und politischer Klasse. Die Chance für einen wirksamen Widerstand gegen Krieg und Aufrüstung liegt ganz wesentlich in der Verbindung von Sozialkritik und Friedensengagement, in einer integrierten Bewegung, wie sie sich in den Sozialforen beispielhaft schon manifestiert hat. Diesen integrierenden Prozess zu fördern und mitzutragen, sollte als wichtiges Anliegen gerade auch der „Kooperation für den Frieden“ weiterentwickelt werden. Dabei handelt es sich nicht um eine konjunkturelle oder taktische, sondern um eine elementar strategische, grundsätzliche Zielsetzung.
In diesem Formierungsprozess einer in vielem neuartigen, von vorneherein globalen, vom Anspruch her antihierarchischen und basisdemokratischen Bewegung liegt die Chance, etwas von dem zu entwickeln, was wir „Kultur des Friedens“ nennen: die Fähigkeit, dem Pro-Sozialen gegenüber der Ego-Manie wieder mehr Raum zu geben, der Kooperation mehr Gewicht zu verleihen als der Konkurrenz, das Streben nach Dominanz auf sozialverträgliche Maße zurückzuschrauben, die Akzeptanz gegenüber anderen kulturellen und politischen Prägungen und Präferenzen zu entwickeln und zu pflegen, und Gewalt als Form der Konfliktaustragung zu delegitimieren. Modellhaft können so andere, enorm kreative Sozialisationserfahrungen vermittelt werden, etwas, von dem auch wir in unseren eigenen Organisationen und Bewegungszuammenhängen gelegentlich noch ein bißchen dazulernen können.


Aktuelle Möglichkeiten und Handlungsfelder für die Bewegung gegen den Krieg
Allgemein gesprochen, sind wir als soziale Bewegung immer dann besonders wahrnehmbar und sehen Möglichkeiten der konkreten Einflussnahme auf das Geschehen, wenn eine dramatische Zuspitzung eintritt, wie Ende 2002/Anfang 2003 mit dem angedrohten Irak-Krieg. In Spanien trat eine solche dramatische Zuspitzung im März 04 mit den Anschlägen auf die Bahnhöfe, den Lügen der Regierung Aznar und den unmittelbar anschließenden Wahlen ein. Die Wirksamkeit der Bewegungsaktionen beruht aber zu einem nicht geringen Teil auf der zuvor geleisteten „molekularen“ Arbeit, dem geduldig diskutierenden „Klein-Klein“, der Entwicklung stringenter, überzeugender Argumentationslinien. Die kontinuierliche politische Auseinandersetzung, selbst auch aus einer Position der scheinbaren Schwäche heraus, schafft die Voraussetzungen, dass wir bei erneuten Zuspitzungen (die mit Sicherheit zu erwarten sind) die nötige Kohärenz und Klarheit haben, nicht nur zu reagieren, sondern auch Ziele zu erreichen und durchzusetzen.
Bei der Zielsetzung, unsere Gesellschaft „strukturell nichtangriffsfähig“ zu machen müssen wir nicht bei Null anfangen, sondern können gerade in Deutschland auf eine erhebliche, auf historischen Erfahrungen beruhende Kriegsunlust aufbauen, die aber, siehe Jugoslawien und Afghanistan, noch nicht ausreicht zur konkreten Kriegsverhinderung, und durch geschickte und massive Demagogie jeweils unwirksam werden kann.
Das aktuelle Einfallstor für Kriegspropaganda ist das Feindbild des „Islamismus“, das Schüren von Ängsten gegenüber diesem „Fremden“, gegenüber dem „Zusammenprall der Zivilisationen“. Ein unschönes Beispiel hierfür war am 7.7.04 in den ZDF-Nachrichten zu erleben: zuerst wurde über eine bewaffnete Auseinandersetzung in Bagdad berichtet, gleich der nächste Bericht wurde vom Sprecher so eingeleitet: auch in Deutschland werde über den Schutz vor islamistischem Terror vermehrt beraten, und es folgten Informationen über eine neue Islamisten-Datei des BKA. Der völkerrechtlich ja durchaus legitimierte Widerstand gegen die widerrechtliche Okkupation des Landes wird so zum Ausdruck von religiösem Fanatismus umgedeutet, gegen den der Westen sich wohl oder übel verteidigen müsse, und zwar optimal an der Quelle des Übels, also in Irak und Afghanistan. Es gibt aber, so behaupte ich, überzeugende Hinweise, dass religiöse Motive bei den Auseinandersetzungen im Irak nur von marginaler Bedeutung sind.
Unsere Aufgabe als Bewegung gegen den Krieg ist es, der Desinformation und Fälschung die von Sabah Alnasseri so formulierte Erkenntnis entgegenzuhalten:
„Die Radikalisierung und die gewaltsamen Kämpfe im Irak sind also nicht irgendwelchen Fanatikern oder politischen Amokläufern zuzuschreiben, sondern vielmehr schuf die Okkupation eine Situation, die einen Nährboden für solche Untaten bereitstellt: nicht der Rückzug der Besatzungstruppen würde also eine solche schreckliche Situation hervorrufen - als gäbe es momentan keine Unsicherheit, kein Chaos und keine Gewalt -, sondern umgekehrt.
Insofern gilt: Je früher sich die Besatzungsmächte zurückziehen bzw. dazu gezwungen
werden, desto wahrscheinlicher wird es zu einer Befriedung der Situation im Irak kommen.“
(www.links-netz.de)

Hierzu beizutragen, muß unser klares Ziel als deutsche Friedensbewegung sein. Dabei sollten wir auch verstärkt den Dialog mit arabischen wie auch kurdischen Mitbürgern suchen. Ein solcher Dialog kann und soll durchaus auch kritisch sein, aber er muß von der prinzipiellen Gleichheit unserer Rechte ausgehen, unabhängig von ethnischen und religiösen Zugehörigkeiten. Die „Würde des Menschen“ darf nicht nur eine Norm im Bereich des deutschen Grundgesetz darstellen, sondern muß auch für die Bevölkerungen im arabisch-muslimischen Kulturkreis gegenüber den Demütigungen des Neo-Kolonialismus solidarisch geschützt werden.


Matthias Jochheim


(aus: Handlungsansätze in der „Kooperation für den Frieden“ 9/04 (Beitrag zur Tagung „Abrüstungspolitik aktuell“, 25.9.04)

Letztes Update: 04.03.2007, 17:45 Uhr